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Die Schweiz - Kleiner Staat - Grosse Macht

Martin Bernard  2021-11-01

In der Geschichtsschreibung und in den Medien wird die Schweiz oft als « kleine Nation » dargestellt, die sich durch ihre Schwäche oder gar Belanglosigkeit im Konzert der Grossmächte auszeichnet. Die Kleinheit des Territoriums, das Fehlen von Rohstoffen und damit die Abhängigkeit von der Aussenwelt, der fehlende direkte Zugang zum Meer oder die Undankbarkeit des Bodens sind alles Merkmale, die zur Rechtfertigung dieses Bildes angeführt werden, das sowohl im Ausland als auch innerhalb der Landesgrenzen noch weit verbreitet ist.

Diese Wahrnehmung entspricht jedoch nicht der Realität. Laut dem Historiker Sébastien Guex, Professor an der Universität Lausanne, « ignoriert oder verharmlost sie die Gegenspieler oder Vermögenswerte, über die die Schweiz verfügt, und verschleiert die Tatsache, dass in der Welt des 20. Jahrhunderts die Faktoren, die die relative Stärke einer Wirtschaft bestimmen, ganz anders sind als in der Gesellschaft des Ancien Régime oder sogar in der Welt des 19. Jahrhunderts.» (Guex, Sébastien - La Suisse et les Grandes Puissances, 1914-1945. Relations économiques avec les États-Unis, la Grande Bretagne, l'Allemagne et la France - Librairie Droz, 1999)

Obwohl die Schweiz weder über eine schlagkräftige Armee noch über Kolonien oder einen Zugang zum Meer verfügt, ist sie aufgrund ihrer geografischen Lage im Herzen Europas ein fast obligatorischer Durchgangspunkt für den kontinentalen Wirtschaftsaustausch. Ausserdem verfügt sie über einen der wichtigsten Rohstoffe des 20. Jahrhunderts: die Wasserkraft, die in Anlehnung an die Kohle, die im 19. Jahrhundert die wichtigste bekannte und genutzte Energiequelle war, auch « weisse Kohle » genannt wird. Obwohl die schweizerische Industrieproduktion im Welthandel kein grosses Gewicht hat, ist der Schweizer Produktionsapparat, der auf fortschrittlichen Technologien und Know-how beruht, in der internationalen Arbeitsteilung oft schwer zu ersetzen. Hinzu kommt die diskrete, aber wirksame Entwicklung des Schweizer Kapitalismus im 19. Jahrhundert, die den Wandel des Landes zu einem der weltweit führenden Finanzplätze (heute der viert- oder fünftgrösste) begleitete.

So behauptete sich der Bund zwischen 1914 und 1945 « durch seine Industrieunternehmen, seine Banken und seine Versicherungen als eine echte Macht auf kommerzieller und finanzieller Ebene, eine Macht, mit der die grossen Staaten immer mehr rechnen mussten », betont Sébastien Guex. Bereits 1932 wies der Soziologe Richard Behrendt in seinem Buch « Die Schweiz und der Imperialismus » darauf hin, dass die Schweiz das Land mit den « ausgeprägtesten Merkmalen des entwickelten Kapitalismus » sei und dessen Bedeutung in der Weltwirtschaft « in keinem Verhältnis zu seiner Grösse » stehe. In der Tat hatte die Schweiz im Jahr 1900 die meisten multinationalen Unternehmen der Welt pro tausend Einwohner. Für Behrendt war die Eidgenossenschaft daher eindeutig einer der führenden « imperialistischen Staaten.»

Dies zeigt sich auch bei der Untersuchung der Beziehungen der Schweiz zu den Grossmächten USA, Frankreich und Deutschland zwischen 1914 und 1945. So gewährte der Bund während des Ersten Weltkriegs den kriegführenden Ländern umfangreiche offizielle und halboffizielle Kredite (insgesamt rund 1,6 Milliarden Franken, was 1918 15% des Schweizer BIP entsprach). Aus den von Malik Mazbouri von der Universität Lausanne konsultierten Privatarchiven geht hervor, dass diese Kredite keineswegs unter Druck gewährt wurden, sondern weitgehend auf Initiative der Schweizer Grossbanken selbst zustande kamen. Letztere ermutigten die deutsche und die französische Regierung, sie anzufordern, und unterstützten sie dann bei den Bundesbehörden. Diese Kredite ermöglichten der Schweizer Exportindustrie die Beschaffung von Rohstoffen, die für das reibungslose Funktionieren der Fabriken unerlässlich waren, sowie die Beschaffung von Absatzmöglichkeiten. Gleichzeitig profitierte z. B. die Industrie der Bandwebereien vom Wegfall der deutschen Konkurrenz auf dem englischen Markt, während die Luxusgüterindustrie ihre Positionierung im Ausland halten konnte.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Schweiz allmählich auch zu einem wichtigen Drehkreuz für internationales Kapital. Aus monetären und steuerlichen Gründen wurde dieses Kapital der Verwaltung von Schweizer Institutionen anvertraut, die es dann im Ausland unter Schweizer Flagge anlegten. Dies spiegelt sich in der Entwicklung der langfristigen Schweizer Investitionen in den Vereinigten Staaten wider (vor allem in den Sektoren Chemie-Pharma, Nahrungsmittel und Banken). Auf diese Weise diente die Schweiz als Deckmantel für deutsche Unternehmen (wie die IG Farben), die aus politischen Gründen die wahre Herkunft ihrer Investitionen in den USA verschleiern wollten. Ab 1920 nutzten auch französische Unternehmen die Schweizer Finanzgesellschaften, um von der Währungsstabilität des Landes zu profitieren und ihre Aktivitäten in politisch sensiblen Ländern wie Nazi-Deutschland und Mussolinis Italien diskret abzuwickeln.

1941 betrug der Anteil der Schweiz an den gesamten Auslandsinvestitionen in den Vereinigten Staaten mehr als 10% (gegenüber 2% im Jahr 1914), obwohl das Misstrauen und die Feindseligkeit zwischen Bern und Washington zunahmen. Auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs blockierte die amerikanische Regierung rund 7 Milliarden Schweizer Guthaben oder von Schweizer Banken in den Vereinigten Staaten verwaltete Vermögen. Der Schweizerische Bankverein, die Vorgängerin der UBS, geleitet von dem einflussreichen Albert Nussbaumer, war eines der Hauptziele der US-Regierung. Dies hinderte Letztere nicht daran, auf Drängen Londons eine SBS-Tochtergesellschaft in New York zu genehmigen, die als Kanal für eine umfangreiche Operation zur Bestechung spanischer Generäle dienen sollte, die von der britischen Regierung im Geheimen initiiert worden war, um die Neutralität Francos während des Krieges zu wahren.

Im Berichtszeitraum schwankten die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz. Sie waren während der beiden Weltkriege intensiv und wurden in den 1930er Jahren durch einen Einbruch gekennzeichnet, der hauptsächlich auf die allgemeine wirtschaftliche Depression und die protektionistische Politik Berlins zurückzuführen war. Laut dem deutschen Historiker Wilfried Feldenkirchen war der Handel zwischen den beiden Nationen quantitativ recht gering, wobei die Schweizer Exporte nur 2,5 bis 4,5% der gesamten deutschen Importe ausmachten. Die beiden Volkswirtschaften ergänzten sich jedoch sehr gut (die Schweiz brauchte Kohle und Stahl, Deutschland brauchte Spitzentechnologie), und Berlin betrachtete seinen südlichen Nachbarn immer als einen wichtigen Partner, um den man sich kümmern musste. Die gut dokumentierte Geschichte des wirtschaftlichen Austauschs zwischen dem Dritten Reich und der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs veranschaulicht dies.

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In dieser unruhigen Zeit kamen die Schweizer Banken auch den antisemitischen Massnahmen der Vichy-Regierung entgegen, obwohl Bern im Juli 1940 grosse französische Guthaben in der Schweiz blockierte. Seit Mai 1936 und dem Sieg der Front Populaire hatte ein anhaltender Zustrom von französischem Kapital dem Schweizer Finanzplatz in seiner Rolle als internationale Drehscheibe neue Vorteile verschafft. Interessanterweise wurden diese Mittel zum Teil dazu verwendet, den französischen Behörden umfangreiche Kredite zu gewähren, und zwar zu sehr günstigen Bedingungen, einschliesslich des Abschlusses eines Doppelbesteuerungsabkommens und des Eindämpfen der französischen Angriffe auf das Schweizer Bankgeheimnis.

Zur Zeit der Befreiung Frankreichs, erklärt der Historiker Marc Perrenoud, spielten die Schweizer Behörden und Banken ein sehr gutes Spiel, um das Wohlwollen der gaullistischen Regierung zu gewinnen. Insbesondere verteidigten sie nicht allzu energisch gewisse in Frankreich ansässige Schweizer Geschäftsleute, die durch ihre Kollaboration mit dem Dritten Reich besonders kompromittiert waren. In diesem Sinne wurde der französischen Regierung im März 1945 ein Grosskredit in Höhe von 250 Millionen Franc gewährt. « Die beträchtlichen finanziellen Kapazitäten der Schweiz ermöglichten es der Schweizer Diplomatie, die Delegierten der westlichen Alliierten unter guten Bedingungen zu konfrontieren und schliesslich im Mai 1946 mit der Unterzeichnung des Abkommens von Washington entscheidende Zugeständnisse zu erreichen », so Marc Perrenoud.

Dieser kurze Überblick zeigt, wie weit das Paradigma der Schweiz als « kleiner, schwacher Staat » von der historischen Realität entfernt ist. Das Fortbestehen einer solchen Auffassung ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Erstens die stille und gedämpfte Entwicklung des schweizerischen Kapitalismus ab Ende des 19. Jahrhunderts im Gefolge der Neutralitätspolitik und der humanitären Aktionen des Landes (Rotes Kreuz, Gute Dienste, philanthropische Praktiken). Zweitens der ständige Widerstand von Wirtschaftskreisen gegen die Erhebung von Daten zu statistischen Zwecken, was es erschwert, das wahre Ausmass des Schweizer Kapitalismus zu erfassen.

Diese Tarnung ging mit einer vermeintlichen « Rhetorik der Kleinheit » einher. Der « Schweizer Kuckuck », stellt Sébastien Guex zu Recht fest, « versucht nicht, so laut zu krähen wie der gallische Hahn oder sich aufzublasen, um dem amerikanischen oder deutschen Adler Konkurrenz zu machen. Er weiss - und das ist ihre Stärke - wie sich kleiner und unbedeutender zu machen, als er wirklich ist.» Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Schweizer Behörden zudem das Gewicht und den Einfluss der Schweizer Wirtschaft bewusst klein gehalten, um von der Schweiz abzulenken und die Sanktionen und den Druck der Alliierten als ungerecht erscheinen zu lassen. Auch die intellektuelle Produktion wurde in diese Richtung gelenkt, mit einigem Erfolg. Erst Ende der 1960er Jahre erschienen wieder Studien über das relative Gewicht des Schweizer Kapitalismus auf der internationalen Bühne. Journalist: Martin Bernard

 

 

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